Die Transformation der Lieferkette von Ahold Delhaize

Dieser Artikel erschien ursprünglich in Forbes.

Im Dezember 2019 gab der weltweit tätige Lebensmitteleinzelhändler Ahold Delhaize bekannt, dass er 480 Millionen US-Dollar in die Transformation und den Ausbau seiner US-Lieferkette investieren würde. Dies sollte die Grundlage einer neuen Dreijahresstrategie zur Umstellung auf einen autonomen Vertrieb bilden. Ziel des Unternehmens war dabei ein Insourcing zahlreicher Lieferkettenvorgänge, die zuvor extern geleistet wurden.

Ahold Delhaize entstand im Juli 2016 aus der Fusion von Ahold und der Delhaize Group. Zu den Marken des Einzelhandelsunternehmens in den USA gehören Food Lion, Giant Food (of Landover), The GIANT Company (of Carlisle), Hannaford sowie Stop & Shop. Das Unternehmen ist an der Ostküste stark vertreten. Mit seinem US-Geschäft erwirtschaftete der globale Einzelhändler über 47 Milliarden USD – mehr als 60 Prozent seiner Gesamteinnahmen.

Laut Chris Lewis, Executive Vice President des Bereichs Lieferketten bei Retail Business Services, wickelte Delhaize vor der Fusion mit Ahold Logistik den größten Teil des Einkaufs intern ab. Ahold hingegen hatte etwa 70 Prozent seiner Logistik und Beschaffung an C&S Wholesale Grocers, den größten Lebensmittelgroßhändler der USA, ausgelagert. Retail Business Services ist die gemeinsam genutzte Dienstleistungsgruppe, die aus der Fusion hervorgegangen ist. Neben anderen Aufgaben ist Retail Business Services für Lieferkettenservices einschließlich Logistik, Beschaffung für die Vertriebszentren und Lieferkettenstrategie für die US-Betriebe von Ahold Delhaize verantwortlich.

In den USA übernehmen 17 Vertriebszentren das Fulfillment für 2000 Filialen an der Ostküste. Das Unternehmen erwirbt außerdem ein weiteres Vertriebszentrum, baut zwei Tiefkühlanlagen und hat gerade ein Vertriebszentrum mit Umgebungstemperatur in Connecticut angemietet. Jährlich fließen 1,1 Milliarden Transaktionen durch dieses Netzwerk. Bis 2023 soll das Lagernetzwerk auf 26 Anlagen erweitert werden. Im Rahmen der im Dezember angekündigten Vereinbarung will sich Ahold Delhaize USA in den nächsten 30 bis 36 Monaten alle ausgelagerten Vertriebszentren zurückholen.

„Der Übergang zu einer selbstverwalteten Lieferkette wird es Retail Business Services ermöglichen, die Kosten für die lokalen Marken, die das Unternehmen versorgt, zu senken, Waren schneller in die Filialen zu bringen, Beziehungen zu Anbietern zu vertiefen und die Vertriebszentren unserer Unternehmen in den Gemeinden, die sie versorgen, besser zu positionieren“, so Lewis. „Durch diese Veränderungen werden wir in der Lage sein, den finanziellen und strategischen Wert von Beschaffung, Logistik und Lagerhaltung zu unserem Vorteil zu nutzen, um die frischesten Produkte über das fortschrittlichste und effizienteste Liefernetzwerk der Lebensmittelbranche anzubieten. Wenn die Transformation abgeschlossen ist, wird Ahold Delhaize 100 Millionen Dollar pro Jahr sparen.“

Lieferkettentechnologie als Schlüssel zur Transformation

Die beiden Tiefkühllager, die das Unternehmen plant, sollen stark automatisiert werden. Die Vertriebszentren, die in Zusammenarbeit mit Americold errichtet werden, sollen mit automatischen Lager- und Bereitstellungssystemen (AS/RS) von Dematic ausgestattet werden. Diese Investition wird Personalkosten senken. Doch Mitarbeiter zu finden, die in Tiefkühllagern arbeiten wollen, kann schwierig sein. Künftig will Retail Business Services auch den Einsatz autonomer mobiler Roboter zur Unterstützung von Kommissionierern prüfen.

Ahold Delhaize legt großen Wert auf Nachhaltigkeit. Der Jahresbericht des Unternehmens umfasst Ergebnisse der Bereiche Finanzen und Nachhaltigkeit. Im Jahresbericht heißt es, dass der global tätige Lebensmittelhändler im Dow Jones Sustainability World Index zu den Branchenführern zählt. Das globale Einzelhandelsunternehmen konnte seine CO2-eq-Emissionen im Jahresvergleich um 4,6 % reduzieren.

Deshalb war neben der Automatisierung auch die optimale Lage der Tiefkühlvertriebszentren entscheidend. Das Einzelhandelsunternehmen nutzte eine Netzwerkdesignlösung von LLamasoft, um diese Warenlager gut zu platzieren. Die LLamasoft-Software ermöglicht es dem Unternehmen, Transport-, Lager- und Lagerhaltungskosten so abzuwickeln, dass Servicelevel-Ziele erreicht und gleichzeitig Kosten gesenkt werden können. Diese beiden Tiefkühlanlagen werden nach ihrer Eröffnung die Fahrten von den beiden Lagern zu den Filialen um rund vier Millionen Kilometer reduzieren, damit die Frachtkosten um drei Millionen Dollar senken und gleichzeitig Treibhausgase reduzieren.

Neben einer guten Platzierung von Warenlagern, die dazu beiträgt, Fahrstrecken von Lastwagen zur Erfüllung von Bestellungen der Filialen zu verkürzen, spielen auch Transportmanagementsysteme (TMS) eine entscheidende Rolle. Aktuell legen 1.000 LKWs jährlich über 190 Millionen Kilometer im Ostküstennetz zurück. Ein TMS kann auf vielfältige Art zu einer Senkung der Frachtkosten beitragen. Im Hinblick auf vertraglich gebundene Spediteure führt das TMS zu besseren Bedingungen bei Langzeitverträgen. Die Frachtkontrollfunktion stellt sicher, dass Spediteure nicht überbezahlt werden. Ein Großteil der Einsparungen durch ein TMS ergibt sich jedoch aus einer besseren Streckenführung und der Tatsache, dass Lkws besser ausgelastet sind – diese Aspekte sparen Kosten und reduzieren Emissionen. Retail Business Services hat sich für das Transportmanagementsystem von Manhattan Associates entschieden.

Retail Business Services ist außerdem gerade dabei, ein gemeinsames Lagerverwaltungssystem (Warehouse Management System) auszuwählen. Ein WMS steigert die Effizienz beim Kommissionieren und senkt damit Personalkosten. Indem sie dafür sorgen, dass LKWs effizient beladen werden und termingerecht abfahren, können eng integrierte WMS- und TMS-Lösungen Synergien verbessern. Retail Business Services hat zwar noch keine endgültige Entscheidung für ein WMS getroffen, doch das WMS von Manhattan Associates ist in der engeren Auswahl.

Lewis sagte: „Wir sind bereit, die Komplexität in unseren Lagerbetrieben zu erhöhen, um die Komplexität in den Filialen zu reduzieren.“ Wenn eine gemischte Palette in einer Filiale ankommt, eine Palette mit verschiedenen Produkten auf verschiedenen Schichten, sollte die Palette so gestaltet sein, dass es, wenn die oberste Schicht entnommen wurde und die Waren in die Regale gestellt wurden, nicht nötig ist, dass die Mitarbeiter die Palette von einem Ende des Geschäfts zum anderen rollen müssen, um zum Aufbewahrungsort für die Produkte der nächsten Schicht zu gelangen.

Retail Business Services ist außerdem gerade dabei, ein System zur Bedarfsplanung und Bestandsauffüllung einzuführen. Eine End-to-End-Lösung von RELEX wird im ersten Quartal 2021 in allen 1200 Filialen von Food Lion und Hannaford in Betrieb genommen. Anschließend soll sie schrittweise in den Märkten der anderen Marken zum Einsatz kommen. Die Lösung wendet markenspezifisches maschinelles Lernen auf Standortdaten, Verkaufsverlauf und Werbepläne an, um die Nachfrage genauer zu prognostizieren. Bessere Nachfrageprognosen führen zu einer erhöhten Verfügbarkeit von Waren im Regal bei geringeren Lagerbeständen. Die RELEX-Lösung ist zudem mit starken Automatisierungskapazitäten ausgestattet, die für einen großen Anteil der Bestellungen automatisch Nachschubaufträge generieren. Das RELEX-System teilt Planern außerdem mit, wenn es der Ansicht ist, dass ihre Überschreibungen oder Nachschubaufträge für eine oder mehrere Filiale(n) zu niedrig sind. Dies könnte verlorene Verkäufe zur Folge haben. Das System generiert Warnhinweise für verlorene Verkäufe, die an die Vorgesetzten der Planer weitergegeben werden. Das kann als starker Antrieb für eine Änderung der Unternehmenskultur dienen. Diese Ersparnis bei den Lagerbeständen ist eine weitere Möglichkeit für Retail Business Services, die angestrebten Einsparungen von jährlich 100 Millionen US-Dollar zu erreichen.

Auf die Zusammenarbeit mit Filialen und Lieferanten kommt es an

Den Schlüssel zu diesen Verbesserungen und Einsparungen auf Filialebene bildet eine höhere Bestandsgenauigkeit in den Filialen. Die Bestandsgenauigkeit auf Filialebene gilt als besonders schlecht, auch wenn sich in den letzten Jahren einiges getan hat. Das von Ahold Delhaize angestrebte Servicelevel in Bezug auf Verkaufsregale liegt bei 99 Prozent. Laut Studien von Chris Cunnane von der ARC Advisory Group erreichen nur 17 Prozent aller Einzelhändler dieses Servicelevel. Da Lebensmittelgeschäfte so viele verschiedene Produkte führen und der Bestand sich so schnell ändert, ist die Bestandsgenauigkeit auf Filialebene in der Lebensmittelbranche wahrscheinlich weitaus geringer als bei anderen Formen des Einzelhandels.

Lewis erklärte, dass letztendlich die Betriebsleitung für die Verbesserung der Bestandsgenauigkeit in der Filiale verantwortlich ist. Doch durch den Einsatz der RELEX-Lösung kann das Lieferkettenteam erkennen, ob die Bestandszählung einer Filiale für einen Artikel falsch ist. Die RELEX-Lösung umfasst Geschäftsregeln, die eine Regalprüfung für dieses Produkt vorschlagen. Warnhinweise für Store Manager über mögliche verlorene Verkäufe bieten den Filialen Anreiz zur Regalprüfung und Wiederauffüllung der Bestände. „Beim E-Commerce und beim Fulfillment von Kundenbestellungen für die Abholung im Geschäft ist die Bestandsgenauigkeit auf Filialebene sogar noch wichtiger“, erklärte Lewis.

Retail Business Services hat mobile Roboter für den Einsatz in den Filialen angeboten. Bestimmte Marken von Ahold Delhaize USA haben sich für einen Roboter mit freundlichem Gesicht namens Marty entschieden, der Gefahren wie verschüttete Lebensmittel in den Gängen erkennen kann. Die Roboter erstellen dann Berichte, die Korrekturmaßnahmen ermöglichen. Sie helfen Filialen dabei, das durch solche Verschüttungen verursachte Risiko zu reduzieren, und ermöglichen es den Mitarbeitern, mehr Zeit auf Service und Kundenkontakt zu verwenden. In Zukunft können diese Roboter laut Lewis auch so programmiert werden, dass sie die Leistung der Regalbestände verbessern, indem sie freie Plätze identifizieren.

Retail Business Services ist außerdem bestrebt, durch neue Beschaffungsprogramme die Zusammenarbeit mit Lieferanten zu verbessern. Beispielsweise könnte das Unternehmen Stellen in der End-to-End-Lieferkette vom Lieferanten zum Einzelhändler identifizieren, an denen eine zu lange Verweildauer oder eine mangelhafte Lieferabfolge das Fulfillment behindern. Retail Business Services ernennt Coaches, die mit den Lieferkettenteams des Lieferanten zusammenarbeiten. Die Idee dahinter ist, dass die Lieferanten an den Einsparungen beteiligt werden, wenn Retail Business Services die Kosten für Lieferanten senkt.

Ein transparenter Bestand ist Grundvoraussetzung für diese Zusammenarbeit. Wenn ein Konsumgüterhersteller einer Filialaktion zustimmt, möchte er Gewissheit darüber haben, dass die Aktion in allen teilnehmenden Filialen vollständig durchgeführt wurde. Wenn eine Aktion mit Produktplatzierung am Regalende vereinbart wird, wird Transparenz dadurch geschaffen, dass Mitarbeiter die Regalenden mit iPads fotografieren (in Zukunft könnte dies sogar eine Aufgabe der Marty-Roboter sein). Unter Umständen zeigen die Bilder, dass in fünf Prozent der Zielfilialen die Regalenden nicht bestückt sind. Daraufhin würden Warnungen ausgelöst und die Betriebsleiter veranlasst, die Produkte entsprechend zu platzieren. Lieferanten erhalten so eine Garantie, dass sie das, wofür sie bezahlt haben, auch bekommen. Eine bessere Ausführung kann Anbieter dazu veranlassen, sich an größeren Win/Win-Aktionen zu beteiligen. Zum Beispiel könnte eine Werbeaktion statt in nur einer Supermarktkette in allen – also insgesamt über 2.000 Filialen – durchgeführt werden. Bei Werbeaktionen dieses Umfangs könnte Retail Business Services einen Rabatt um weitere fünf Cent pro Artikel verlangen.

Retail Business Services arbeitet außerdem an verbesserten Kontrollturm-Funktionen. Diese „Kontrolltürme“ sollen eine erhöhte Transparenz nicht nur in Bezug auf vorhandene Bestände in Filialen und Vertriebszentren ermöglichen, sondern auch auf fahrende Bestände, die auf dem Weg in die Vertriebszentren sind. Wenn die Ostküste von einem Hurrikan heimgesucht wird, ist es sinnvoll, die Filialen mit größeren Mengen an Wasser und ähnlichen Produkten zu beliefern, die Kunden als Vorräte während des Sturms anschaffen. Der Kontrollturm könnte sehen, dass in den Warenlagern genügend Wasser zur Verfügung steht, aber dass es zum Problem werden könnte, genügend Arbeitskräfte zu finden, die Eillieferungen ermöglichen. Der Kontrollturm bietet den notwendigen Überblick, um verschiedene Optionen zu prüfen.

Unterm Strich handelt es sich um eine recht einschneidende Transformation. Sie wird erhebliche Geldmengen einsparen, den Kundenservice verbessern und Ahold Delhaize dabei unterstützen, seine Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Grundlagen dieser Veränderungen sind Technologie, eine veränderte Unternehmenskultur und neue Prozesse. Ahold Delhaize hat nicht die gleichen Lobeshymnen für die Effizienz seiner Lieferkette erhalten wie Amazon und Walmart. Mit der Transformation wird sich diese Wahrnehmung wandeln.

Steckbrief Steve Banker

Ich bin Vizepräsident für den Bereich Lieferkettenservices bei der ARC Advisory Group, einem führenden Unternehmen für Branchenanalytik und Technologieberatung. Ich beschäftige mich mit quantitativer und qualitativer Forschung in den Bereichen Lieferkettenmanagement-Technologie, Best Practices und neue Trends. Meine Artikel wurden bereits in Supply Chain Management Review veröffentlicht, ich habe eine wöchentliche Kolumne in Logistics Viewpoints (www.logisticsviewpoints.com) und Sie können mir auf Twitter @steve_scm folgen oder mich unter sbanker@arcweb.com kontaktieren.

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